17.03.2023 Rechtsprechung

Leistungen der Eingliederungshilfe für einen ukrainischen Jungen mit Behinderungen

Das Sozialgericht Nürnberg hat in einem Eilverfahren den Bezirk Mittelfranken dazu verpflichtet, Kosten für den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte für einen neunjährigen Jungen mit Behinderung zu erbringen (Az. S 5 SO 25/23 ER). Der Junge war im März 2022 mit seiner Familie nach Deutschland geflüchtet.

In dem Eilverfahren ging es darum, ob der Bezirk Mittelfranken im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten ist, an den Antragsteller Leistungen der Eingliederungshilfe nach Teil 2 des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) in Form der Übernahme der Kosten für den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte zu erbringen. Das Gericht hat dies bejaht.

Der Antragsteller ist im Besitz einer bis 2024 befristeten Aufenthaltserlaubnis nach § 24 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Am 10. Mai 2022 beantragten die Eltern für ihn Leistungen der Eingliede­rungs­hilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch einer Heilpädagogi­schen Tagesstätte. Der Bezirk Mittelfranken lehnte dies mit Verweis auf § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ab. Danach liegt die Bewilligung von Leistungen der Eingliederungshilfe für ausländische Personen im Ermessen des Kostenträgers. Der Bezirk Mittelfranken betrachtete die beantragte Maßnah­me als nicht erforderlich.

Gegen den Bescheid legte der Antragsteller am 17. Oktober 2022 Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren wurde eine ärztliche Stellungnahme des Universitätsklinikums Erlangen – Kinder- und Jugendklinik vorgelegt, der zufolge bei dem Jungen neben einer Trisomie 21 weitere Behinderungen bestehen. Die Schwerbehinderung ist anerkannt. Es wurde davon ausgegangen, dass eine erhebliche Förderungslücke entstanden ist. Zudem befinde er sich in einem für ihn neuen sprachlichen Umfeld. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2023 wies die Regierung von Mittel­franken den Widerspruch zurück und bekräftigte ihre Ermessens­entscheidung. In diesem Fall sei auch nicht § 100 Abs. 1 Satz 2 SGB IX anwendbar, nachdem eine Leistung der Eingliederungshilfe nicht im Ermessen des Kostenträgers liegt, wenn die beantragende ausländische Person im Besitz einer Niederlassungs­erlaubnis oder eines befristeten Aufenthalts­titels ist und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten wird. Eine Prognose über die Dauer des Aufenthalts des Antragstellers könne derzeit nicht abgegeben werden. Der Schulbesuch sei sichergestellt, ebenso über den vorhandenen Krankenversicherungsschutz weitere notwen­dige Behandlungen. Gegen die Bescheide hat der Antragsteller am 13. Februar 2023 Klage beim Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben (Az. S 5 SO 27/23).

Einstweilige Anordnung

Das SG ordnete an, dass der Antragsgegner ab 13. März 2023 an den Antragsteller vorläufig Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für den Besuch einer Heilpädagogischen Tagesstätte unter Zugrunde­legung der Hilfebedarfsgruppe 2 bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens aber bis zum Ende des Schuljahres 2022/2023 zu erbringen hat. Nach dem SG findet in diesem Fall die Ermessensregelung nach § 100 Abs. 1 Satz 1 SGB IX keine Anwendung. Der Umstand, dass der Junge vorerst nur eine befristete Aufenthaltserlaubnis habe, spreche nicht gegen die Prognose eines dauerhaften Aufenthalts. Für die Beurteilung, ob es sich um einen dauerhaften Aufenthalt handele, müsse jeweils im Einzelfall ermittelt werden. Das Gericht könne nicht erkennen, dass der Bezirk diesbezüglich eine Sachverhaltsaufklärung vorgenommen hätte. Die vorliegenden Unterlagen enthielten ausschließlich Hinweise für einen dauerhaften Aufenthalt.

Das Gericht führt weiter aus, dass der Antragsgegner wesentliche Gesichtspunkte, wie das Alter und den familiären Hintergrund des Antragstellers, überhaupt nicht und die sich aus den vorliegenden Gutachten und Stellungnahmen ergebenden Befunde bzw. Entwicklungs­defizite des Antragstellers nicht in ausreichendem Umfang gewürdigt habe. Darin wird die schnellstmögliche Aufnahme der Betreuung und Förderung des Antragstellers in einer Heilpädagogischen Tagesstätte zur Umsetzung eines kontinuierlichen und interdisziplinären Betreuungs- und Förderungskonzepts für indiziert und dringend erforderlich gehalten, da andernfalls die Weiterentwicklung und auch die gleichberechtigte soziale Teilhabe des Antragstellers gefährdet sei. Zu berücksichtigen sei auch, dass seit der Antragstellung beim Antragsgegner fast ein weiteres dreiviertel Jahr vergangen und die – nach derzeitiger Sachlage – notwendige heilpädagogische Förderung des Antragstellers zu einem späteren Zeitpunkt auch mit Blick auf das fortschreitende Lebensalter des Antragstellers nicht nachholbar ist.

Gegen den Beschluss ist eine Beschwerde beim Bayerischen Landessozialgericht möglich.

Eine beglaubigte Abschrift des Beschlusses kann auf der Fachinformationsseite des Paritätischen Gesamtverbands abgerufen werden:

Ukrainischer Junge erhält Leistungen der Eingliederungshilfe

(Quellen: Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband - Gesamtverband e. V., Sozialgericht Nürnberg)


Bei dem genannten Urteil handelt es sich um eine ausgewählte Entscheidung zum Teilhaberecht.

Entscheidungen zum Rehabilitations- und Teilhaberecht finden sich auch in der

 Rechtsdatenbank unseres Partners REHADAT.


Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Mit * gekennzeichnete Felder müssen ausgefüllt werden.